Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Mit quadratischen Messingtafeln wird an das Schicksal von Menschen erinnert, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer in das Pflaster eingelassen.
Bei der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf kümmern sich Hildegard Jakobs und Astrid Hirsch-von Borries um alles, was das Thema Stolpersteine in Düsseldorf betrifft – von der Recherche der Biographien bis zu Verlegung. Wenn Sie Fragen zu dem Projekt haben oder gerne eine Patenschaft übernehmen möchten, schicken Sie eine Mail an gedenkstaette@duesseldorf.de.
Wo seit 1967 ein monolithischer Betonbau die Kunsthalle Düsseldorf, den Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen sowie die Kabarettbühne Kom(m)ödchen beherbergt, stand bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eine Reihe Wohn- und Geschäftshäuser als Teil der Hunsrückenstraße. Im Jahr 1995 wurde dieser Straßenteil zwischen Kunsthalle und St. Andreas-Kirche in Kay-und-Lore-Lorentz-Platz umbenannt – zu Ehren des Gründer-Ehepaares des Kom(m)ödchens.
Bis ins Jahr 1941 lebte hier der Silberschmied Wilhelm Zitschka. Im Erdgeschoss des Hauses mit der Anschrift Hunsrückenstraße 4 betrieb er einen Laden, in dem er auch selbst gestaltete Postkarten anbot. So zumindest geht es aus den Gerichtsakten hervor, die aus einem Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf am 22. April 1941 stammen, in dem Zitschka wegen „widernatürlicher Unzucht“ mit einem Mann zu 2 Jahren Haft verurteilt wurde.
Für den damals 60-jährigen Wilhelm Zitschka war dies nicht die erste Verurteilung nach Paragraf 175. Er galt damit als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“, die nach Verbüßung der Haftstrafe meist unmittelbar in Sicherheitsverwahrung genommen wurden. Die Deportation in ein Konzentrationslager kam in der Regel einem Todesurteil gleich. Für Homosexuelle gab es einen vermeintlichen Ausweg aus dieser Situation: die „freiwillige Entmannung“.
Wilhelm Zitschka wurde am 14. Mai 1941 im Gefängniskrankenhaus Ulmer Höh’ in Düsseldorf-Derendorf kastriert, ihm wurden die Hoden entfernt. Keine zwei Wochen später kam er ins Gefängnis Anrath bei Willich, wo er seine zweijährige Haftstrafe verbüßte. Im Februar 1943 wurde Wilhelm Zitschka freigelassen und kam zurück nach Düsseldorf. Er überlebte die NS-Zeit und starb am 7. Januar 1960 im Alter von 79 Jahren in seiner Wohnung in Bilk.
Karl Carduck wurde am 14. November 1913 in Düsseldorf geboren, wo er nach einer Lehre als Dekorateur in seinem erlernten Beruf arbeitete. Durch „Vertrauenspersonen“ war die Gestapo im Juni 1937 darauf aufmerksam gemacht worden, dass Carduck homosexuell sei und häufig Männer in seiner Wohnung auf der Steinstraße 19b zu Besuch habe. Die Überwachung durch die Gestapo bestätigte, dass Carduck oft Besuch von Männern erhielt und im Verlauf seiner weiteren Beobachtung wurde er am 28. Juni 1937 am Düsseldorfer Hauptbahnhof festgenommen.
Im Verhör räumte Karl Carduck „einen umfangreichen gleichgeschlechtlichen Verkehr mit Männern“ ein. Da in seiner Wohnung Homosexuelle Gelegenheit gehabt hätten, sich gegenseitig kennenzulernen
und alle Beschuldigten dort verkehrt und homosexuelle Handlungen zugegeben hätten, wurde Karl Carduck von der Gestapo kurzerhand zum „Haupt“ eines „homosexuellen Zirkels“ erklärt. Tatsächlich
handelte es sich aber bei den Beschuldigten um nichts anderes als den Freundeskreis von Karl. Sie hatten sich noch nicht auf die sich seit 1933 verstärkende Verfolgung Homosexueller eingestellt
und zählten daher mit zu den ersten von der Düsseldorfer Gestapo Verhafteten.
Die sechs Männer, die von der Gestapo beschuldigt wurden, dem „homosexuellen Zirkel“ um Karl Carduck anzugehören, wurden in einer Verhandlung vor dem Landgericht Düsseldorf am 28. September 1937
wegen Verstößen gegen den § 175 zu Gefängnisstrafen zwischen drei und achtzehn Monaten verurteilt. Die höchste Strafe erhielt Carduck, der zu achtzehn Monaten Haft verurteilt wurde.
Karl Carduck verbüßte die Haft vom 7. Juli 1937 bis 6. Januar 1939 im Strafgefangenenlager Neu-Sustrum im Emsland. In Gefängnissen und Strafgefangenenlagern wurden homosexuelle Häftlinge nach
Möglichkeit in Einzelhaft genommen und besonders gefürchteten Arbeitskommandos zugeteilt. Nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf im Januar 1939 deuten häufige Wohnungswechsel darauf hin, dass Karl
Carduck nicht mehr wirklich Fuß fassen konnte. Am 13. März 1940 erfolgte seine Abmeldung zum Kriegsdienst. Am 21. August 1942 ist Karl Carduck in Russland gefallen.
Joseph Völker wurde am 3. Juli 1913 in Bochum geboren. Seine Eltern waren Amandus und Luise Völker, geborene Kötte. Er hatte noch einen jüngeren Bruder. Seit 1927 lebte die Familie in Düsseldorf. Sein Vater arbeitete als Betriebsleiter bei der Düsseldorfer Feuerwehr. Die Völkers wohnten zunächst in der Wupperstraße 5, dann in der Merowinger Straße 31.
Als Jugendlicher war Joseph Völker Mitglied in der Bündischen Jugend und seit 1929 im Nerother Wandervogelbund aktiv. Er war unter den dortigen Mitgliedern nicht der einzige Homosexuelle. Nach
der Machtübernahme 1933 wurde das Leben für Homosexuelle gefährlich, da die Nationalsozialisten diese Lebensweise aktiv verfolgten. 1935 wurde Joseph Völker erstmals von der Gestapo Düsseldorf
vernommen wegen des Verdachts homosexueller und bündischer Tätigkeit. Nach seiner Freilassung flüchtete er ins Ausland und lebte dort einige Jahre. In Österreich wurde Joseph Völker wegen
homosexuellen Umgangs mit einem 16-Jährigen festgenommen, verurteilt und 1939 nach Düsseldorf überführt. In der Ulmer Höh wurde er am 5. Januar 1939 aus Salzburg kommend eingeliefert.
Nach verbüßter Haft im Gefängnis in Anrath wurde er 1940 entlassen. Am 10. Juni 1941 wurde er von der Düsseldorfer Kriminalpolizei in „Vorbeugehaft“ genommen. Grundlage dieser Verhaftung war der
Erlass vom Dezember 1937, der erlaubte Vorbestrafte als „gefährliche Gewohnheitstäter“ auch ohne aktuellen Gesetzesübertritt unbefristet in Haft zu nehmen. Diese Praxis wurde 1940 auch bei
denjenigen angewendet, die eine Verurteilung aufgrund des § 175 hatten. Eine Chance auf einen Anwalt oder ein faires Verfahren gab es zu dieser Zeit nicht mehr. Vielleicht war dies ein Grund
dafür, dass sich Joseph Völker im Juni 1941 „bereit erklärte“ mit der Gestapo zusammenzuarbeiten, um den Beamten einen Einblick in die Homosexuellen-Szene zu ermöglichen.
Dieser Versuch, sein Leben zu retten, hatte keinen Erfolg, denn Joseph Völker wurde am 10. Juli 1941 in das Konzentrationslager Neuengamme deportiert. Ein Jahr blieb er dort und wurde dann in das
KZ Dachau überführt. Von dort gelang es ihm einen Brief an seine Eltern übermitteln zu lassen. Er schrieb am 31. Oktober 1942:
„(…) Wir gehen wieder auf Transport, liebe Eltern. – Aber wohin????! Was wird aus uns werden.- Von Neuengamme kam ich mit 500 Häftlingen nach hier, 280 sind tot, sind durch den Kamin
gegangen, wie wir sagen, da ja jeder der stirbt, verbrannt wird.- Werde ich Euch noch einmal lebend wiedersehen???? Oh, liebe Eltern, wenn Ihr wüsstet, was es heißt, Konzentrationslager.- Lieber
5 Jahre im Gefängnis, ja lieber im Zuchthaus; nur nicht im KZ.- Im Juni 1941 kam ich nach dem KZ Neuengamme; arbeiten an der Elbe; bis an die Knie im Schlamm; Lore laden, Schubkarre, Schaufel und
dazu der Hunger, Prügel durch die Capos, Mord und Totschlag.- Täglich gingen, viele, Menschen, viele !! über die Postenkette in den Tot.- Es war einfach nicht mehr zu ertragen.- Es war die
Hölle.- Andere starben an Fieber.- So waren es täglich 20 bis 30.- Von meinem Tisch waren von 18 Menschen nach der Typhus-Periode noch 6 am Leben, 12 waren tot. – Mit 18 Mann kam ich nach
Neuengamme und ich weiss noch von 3 ausser mir, die leben. Alle anderen??? Kamin!!!- Was wird nun werden aus mir!!? Auch Kamin???! O, liebe Eltern ! bitte rettet mich, rettet mich, oder Euer Kind
ist verloren, verloren im K.Z. sang und klanglos untergegangen im Konzentrationslager. Liebe Eltern!!! Bitte geht täglich, ja bitte täglich, ins Präsidium zum Kommissar Dietrich, Zimmer 245 und
bittet, dass ich doch frei komme.- Aus der Hölle entlassen.- (...)"
Am 2. November 1942 wurde Joseph Völker zurück in das KZ Neuengamme überführt. Knapp zwei Monate später, am 9. Januar 1943, verstarb der 29-Jährige. Auf seiner Todesurkunde wurde als Ursache
„Versagen von Herz- und Kreislauf bei doppelseitiger Lungenentzündung“ vermerkt.
Der Arbeiter Bernhard Esch wurde am 19. März 1914 in Düsseldorf geboren und wohnte in den 1930er Jahren in der Neusser Straße 37 im Stadtteil Unterbilk. Am 2. Mai 1938 wurde er wegen des Verdachts „widernatürlicher Unzucht“ (d.h. homosexueller Handlungen) verhaftet und bis zum 6. Mai 1938 im Polizeigefängnis festgehalten.
In der „Strafsache gegen Engländer und Andere wegen widernatürlicher Unzucht“ wurde Bernhard Esch am 21. Juli 1938 von der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf wegen „Anstiftung
zu einem Vergehen nach §175 des Strafgesetzbuches“ zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
Gegen Kriegsende wurde Bernhard Esch von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) erschossen.
Der ehemalige Pfadfinderführer und Kaufmann Josef Herkenrath wurde sowohl aus politischen Gründen als auch „wegen Vergehen nach § 175“ (Homosexualität) belangt – ein von den Nationalsozialisten nicht selten unterstelltes Delikt gegen Jugendführer außerhalb der Hitlerjugend.
Josef (Jupp) Herkenrath wurde am 14. Februar 1900 in Düsseldorf geboren. Seine Eltern waren Josef Ludwig und Anna Herkenrath, geborene Klein. Er hatte sieben Geschwister. Seiner Familie gehörte
die Firma Josef Herkenrath (Inhaber Max Herkenrath), ein Haushaltungsmagazin und Handel mit Geschenkartikeln in der Kasernenstraße 4/6 und Grabenstr. 14/16. Die Firma feierte 1926 ihr 50-jähriges
Bestehen.
Nach einem Jahr Haft wurde Josef Herkenrath am 24. September 1937 aus dem Gefängnis entlassen, am 25. Oktober 1937 aber erneut verhaftet. Das Landgericht Düsseldorf verurteilte ihn am 22. Januar
1938 zu vier Monaten Gefängnis. Knapp drei Monate nach seiner Haftentlassung, am 14. Juli 1938, kam Herkenrath abermals in Haft und wurde am 21. Januar 1939 vom Landgericht Düsseldorf wegen
„Vergehen nach § 175“ zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Ablauf der Haft wurde er in „Schutzhaft“ genommen und in das Konzentrationslager (KZ) Börgermoor ins Emsland überführt.
In den Konzentrationslagern wurden Homosexuelle mit einem rosa Winkel an der Gefangenenkleidung gekennzeichnet. Dies führte zu einer Stigmatisierung dieser Häftlinge, die in der Lagerhierarchie
zu den Gruppen mit dem niedrigsten Status gehörten. Die Todesrate unter den Rosa-Winkel-Häftlingen in Konzentrationslagern war deutlich höher als unter anderen Gefangenengruppen. Josef Herkenrath
starb im KZ Börgermoor am 20. September 1942.
Gerhard Klemens kam am 5. Februar 1900 in Düsseldorf als Sohn von Wilhelm und Katharina Klemens, geborene Kraux, zur Welt. Er wohnte in der Birkenstraße 96. Am 19. März 1937 wurde Gerhard Klemens verhaftet und in die Wuppertaler Haftanstalt überführt. Der Vorwurf war, er hätte sich als Homosexueller der Kuppelei schuldig gemacht. Ab 1940 lebte er im Haus Gladbacher Straße 41. Als Homosexueller wurde er in das Konzentrationslager Neuengamme überführt.
Gerhard Klemens war ab dem 26. Januar 1942 Häftling im Konzentrationslager Dachau. Seine dortige Häftlingsnummer war 15538. Von dort wurde er 1942 mit einem Invalidentransport von Häftlingen aus
dem Konzentrationslager Dachau in die Euthanasie-Anstalt Schloss Hartheim bei Linz überführt. Hier in einer ehemaligen Anstalt für Geisteskranke wurden seit Frühjahr 1940 Insassen aus Kranken-
und Pflegeanstalten sowie aus Altenheimen ermordet. Ab Januar 1942 erlitten Tausende von Häftlingen vor allem aus den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen das gleiche Schicksal. Die
Häftlinge werden noch am gleichen Tag ermordet. Auf Gerhard Klemens Todesurkunde wurde zur Verschleierung „Versagen von Herz und Kreislauf bei Darmkatarrh“ notiert. Das Todesdatum war vermutlich
der 31. März 1942.
Texte: Hildegard Jakobs, Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf