Zeiten der Verfolgung

Düsseldorf war die Stadt mit den meisten Festnahmen nach § 175 in ganz Westdeutschland.

Im Januar 1871 wurde das Deutsche Kaiserreich unter preußischer Führung gegründet. Im darauffolgenden Januar 1872 trat das Strafgesetzbuch des Kaiserreichs in Kraft und somit auch der Paragraf 175, der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte. Weibliche Homosexualität war ein Tabuthema im Kaiserreich und Frauen liebende Frauen galten eher als sittliche Gefahr. Der § 175 richtete sich ausschließlich an Männer. Im Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) lautete der Paragraf wie folgt:

„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“


Während der Weimarer Republik und „Goldenen Zwanziger“ ebbte die Ahndung nach § 175 weitestgehend ab. In Städten wie Berlin, München und auch Düsseldorf entstand eine Community mit Szenelokalen. Die örtliche Szene wurde von der Polizei geduldet und Untersuchungen oder Verfahren wurden nur aufgrund von Denunziationen eingeleitet.


Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschlechterten sich die Bedingungen für Homo¬sexuelle deutlich: Ende Februar 1933 wurden einschlägige Presseerzeugnisse verboten sowie eine Anweisung zur Schließung bekannter Szenelokale herausgegeben, die in Düsseldorf sogar schon einige Tage vor dieser Anweisung erfolgte.  Am 1. September 1935 trat eine Verschärfung des § 175 in Kraft, der alle „homosexuellen Handlungen“ kriminalisierte und nicht wie bis dahin nur sogenannte „beischlafähnliche Handlungen“. In einigen Fällen sollte ab da für eine Verurteilung ein Blickaustausch oder ein Gespräch ausreichen. Auch das Strafmaß wurde deutlich angehoben und männliche Prostitution mit besonders hohen Strafen belegt.


Homosexualität wurde von einem Verstoß gegen bürgerliche Normen zu einem staatsfeindlichen Akt umbewertet und Homosexuelle zu „Volksschädlingen“ erklärt. Der § 175 diente den National-sozialisten aber auch als Instrument zur Kriminalisierung von bündischer Jugend und Angehörigen der katholischen Kirche, wodurch bereits der Boden für ein aktives Vorgehen gegen die Homosexuellen-Szene bereitet wurde.


Um die Wirkung zu erhöhen, sollten bei der Verfolgung gleichzeitig Kriminalpolizei und Geheime Staatspolizei tätig werden. Im Sommer 1937 führte die Gestapo die ersten Razzien in Düsseldorf durch. Ende März 1938 begann eine weitere „Aktion gegen die übrigen Homosexuellen“, die von einem Sonderkommando der Gestapo in Angriff genommen wurde, das zuvor bereits in Duisburg und Essen tätig geworden war.


Die Verhaftungen erfolgten stets nach dem gleichen Muster: An bekannten Treffpunkten wurden Razzien durchgeführt und gezielt Strichjungen verhaftet, die dann im Anschluss an ihre Festnahme häufig von der Gestapo als Lockvögel oder Spitzel benutzt wurden. Den Festgenommenen wurden dann in der Regel durch massive Misshandlungen, die von einer völlig menschenunwürdigen Unterbringung bis zu schwerer körperlicher Gewalt reichten, Aussagen über weitere Verdächtige abgepresst.


Bis August 1938 verhaftete allein die Gestapo etwa 400 Männer wegen „homosexueller Handlungen“. Damit war Düsseldorf die Stadt mit den meisten Festnahmen nach § 175 in ganz Westdeutschland.


Mehrere im Rahmen der Homosexuellen-Aktionen Festgenommene bezeugten, dass sie wegen ihrer Weigerung Geständnisse abzulegen mehrere Tage und Nächte im „Verschlag“ einer „Beruhigungszelle“ des Düsseldorfer Polizeipräsidiums eingepfercht wurden. Diese Zellen waren ursprünglich für betrunkene, „lärmende“ und „widersetzliche“ Gefangene gebaut und daher mit besonders starken Betonwänden ausgestattet. Um zu verhindern, dass Gefangene an das Fenster gelangten, war in knapp 60 Zentimeter Entfernung ein Eisengitter mit einer Tür angebracht. Bei dem als „Verschlag“ bezeichneten Bereich, handelte es sich um diesen 1,60 m langen und 58 cm breiten Raum zwischen dem Fenster und der eigentlichen Zelle. Bei den Vernehmungen waren Misshandlungen an der Tagesordnung. Mehrere Festgenommene berichteten, dass sie von der Gestapo brutal geschlagen wurden, um ein Geständnis zu erpressen. In der Regel prügelten die Beamten aber nicht selbst, sondern ließen verhaftete Strichjungen die Gefangenen foltern.


Die Gerichte in Düsseldorf verhängten durchschnittlich fünf bis sechs Monate Gefängnis für Verstöße gegen den § 175. In Gefängnissen und Strafgefangenenlagern wurden homosexuelle Häftlinge meist in Einzelhaft genommen und besonders gefürchteten Arbeitskommandos zugeteilt. Unabhängig von einem Gerichtsurteil verfügte die Gestapo über die Möglichkeit Menschen in Konzentrationslager einzuliefern.


Unzählige Männer starben an der Front in „Spezialkommandos“ oder in Konzentrationslagern.


Die Verfolgung der Frauen zu rekonstruieren, gestaltet sich bis heute schwieriger. Der Paragraf 175 richtete sich auch während des NS ausschließlich an Männer. Dennoch, Frauen waren der NS-Frauenpolitik ausgeliefert und wurden in den häufigsten Fällen unter dem schwarzen Winkel („Asoziale“) in die Lager deportiert. Ihre genaue Opferzahl wird wahrscheinlich nie genau erfasst werden.

 

Text: Astrid Hirsch-von Borries / Mahn- und Gedenkstätte Landeshauptstadt Düsseldorf