Über das Kunstwerk

„Ein seltsam klassisches Denkmal“ von Claus Richter

Von Samira Yildirim

Auf einem Sockel am Rheinufer in Düsseldorf stehen vier Bronzefiguren, die mit dem Rücken zueinanderstehen, in vier Richtungen schauen und so die gesamte Umgebung in den Blick nehmen. Die Bewegungsrichtung der Skulptur ist aufstrebend, denn die Figuren recken die jeweils linke Hand als Faust oder Victory-Zeichen geformt in die Höhe, halten sich die rechten Hände und richten ihren Blick nach oben. Die Menschengruppe vermittelt Wehrhaftigkeit, indem sie sich nach innen Rückendeckung gibt und in festem Stand nach außen strebt. Die Mimik der Gesichter ist entschlossen und in der Verarbeitung der Bronze filigraner und detaillierter ausgearbeitet als die gröber modellierte Oberfläche der Kleidung. Mit langem Pelzmantel, Sommerkleid, Jackett oder Hose handelt es sich um eine waffenlose und gleichzeitig recht verwunderliche Kampftruppe, die Stärke ausstrahlt.


Diese vier sehr unterschiedlichen Charaktere stehen für eine Vielzahl an Menschen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, die sich unter den Sammelbegriffen queer oder LSBTQIA+ definieren. Die Bronzefiguren sind Stellvertreter*innen für queere Communities, die gar nicht als eine geeinte Gruppe bezeichnet werden können, sondern als ein vielseitiger und vielstimmiger Chor verschiedener Interessen, der sich gegen Diskriminierung und für die Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt innerhalb der Gesellschaft einsetzt. Es waren dementsprechend auch viele Gruppen aus Düsseldorf, die als Zusammenschluss seit Jahren einen Gedenkort der Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Trans- und Intergeschlechtlichen forderten. Der Künstler Claus Richter erhielt den Auftrag und realisierte das Denkmal, dessen Enthüllung an den prominenten Rheinwiesen im Oktober 2021 stattfinden konnte. Angesichts der sonst vorwiegend bunten, makabren und grotesken Figuren in den Arbeiten des Künstlers, wirkt das „seltsam klassische Denkmal“ erstaunlich ernst.


Der historische Hintergrund für den Gedenkort ist die zentrale Rolle Düsseldorfs bei der Verfolgung von Homosexuellen während des Nationalsozialismus. In keiner anderen westdeutschen Stadt wurden nach §175 des Strafgesetzbuches derart viele schwule Männer verhaftet – etwa vierhundert Verhaftungen bis 1938 sind aktenkundig. Die Maßnahmen gegen Homosexuelle wurden während der NS-Zeit verschärft, jedoch fand Diskriminierung und Verfolgung auch davor und danach statt – der Paragraf existierte seit dem Deutschen Kaiserreich bis 1994 und stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. In der Geschichte der Menschenrechtsbewegungen für Rechte von LSBTQIA+ gab es seit jeher subversiven oder offenen Widerstand und wird es auch weiterhin geben. Die in Bronze gegossenen Figuren sind im Moment des immerwährenden Kampfes eingefroren – sie erinnern an vormalige Kämpfe und begleiten zukünftige. Die Skulptur macht im Moment der Abwehr auf die zeitliche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufmerksam, worauf auch die Inschrift auf der Tafel hinweist: „ORT FÜR DIE ERINNERUNG UND AKZEPTANZ GESCHLECHTLICHER UND SEXUELLER VIELFALT. Dieser Ort ist den Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans* Menschen gewidmet, die Opfer von Gewalt, Verfolgung und Diskriminierung in Düsseldorf wurden. Und all denen, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt einstanden und einstehen.“


Die geballte Faust ist ein Widerstandssymbol verschiedener sozial-politischer Bewegungen, das nach dem Ersten Weltkrieg als antifaschistisches Zeichen aufkam und in Papierwerken und Skulpturen sozialistischer Kunst in kommunistischen Ländern verwendet wurde.  Es war dieser kulturhistorische Kontext, der zu Einwänden eines Politikers der CDU führte, der das Denkmal als „zweifelhaft“ bezeichnete.  Die geballte Faust selbst kam ab den späten 1960er Jahren in verschiedenen Bürgerrechtsbewegungen wie der Black Power- oder Feministischen Bewegung zum Einsatz und wurde nicht mehr nur in sozialistisch-kommunistischen Zusammenhängen gebraucht. Das Poster „Gay Liberation Front“ aus dem Jahr 1970 von Peter Hujar etwa zeigt eine Gruppe der Aktivist*innen mit empor gestreckten geballten Fäusten. Die Gay Liberation Front bildete sich nach den Stonewall-Aufständen 1969, als über Tage hinweg in der Christopher Street in New York gewaltvolle Kämpfe zwischen Polizeibeamten und queeren Menschen stattfanden. Hauptsächlich BIPoCs, trans* Personen und Sexarbeiter*innen schützten ihre queeren Räume. Der weltweit gefeierte Christopher Street Day, wie er in Düsseldorf auf den Rheinwiesen am Ort des Denkmals stattfindet, hat in diesem zivilen Ungehorsam seinen historischen Ursprung. Claus Richter wählte für den Gedenkort eine Körper- und Bildsprache, die nicht nur an die Diskriminierung queerer Menschen erinnert, sondern vor allem diesen Straßenkämpfen ein wahrlich seltsam klassisches Denkmal setzt. Für andere Denkmäler im öffentlichen Raum für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wie etwa George Segals „Gay Liberation“ von 1980, das zwei sitzende Frauen und zwei stehende Männer zeigt, oder das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin, wurde eine weitaus abstraktere und zurückhaltende Gestaltung gewählt. Dementsprechend liegen Vergleiche des „seltsam klassischen Denkmals“ zu Kriegs- und Siegesdenkmälern nahe, da sie auf Erfolge in der Vergangenheit aufmerksam machen. Die Wehrhaftigkeit der Figuren erweist sich auf den zweiten Blick als hochgradig ambivalent, da die Kämpfenden aus einer Position von Gewalt erfahrenden und diskriminierten Minderheiten agieren, die für ihre Grundrechte demonstrieren. Es wird in diesem Fall an Errungenschaften queerer Menschen erinnert und im selben Zug die überkommene Symbolik heroisch-männlicher Denkmäler besetzt und umkodiert.


Der öffentliche Raum ist stark politisiert, oftmals ringen unterschiedliche Interessen um Einfluss. Versammlungen von Menschen nutzen öffentliche Plätze und Räume, um ihren Forderungen Druck zu machen. Ein Erinnerungsort im öffentlichen Raum, der als zentrales Merkmal den Kampf kennzeichnet, entspricht den aktivistischen, queeren, langjährigen, progressiven und konfliktiven Widerstandsbewegungen und der Zuversicht, die sie antreibt. Es erinnert zudem an einen klassischen Solidaritätsbegriff, sich in den Kämpfen trotz der Unterschiedlichkeit zwischen Einzelnen, weiterhin Rückendeckung zu geben.

 

Samira Yildirim ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der Bildenden Künste München. Sie hat Kunstgeschichte und Medienwissenschaften in Bochum, Marburg und Istanbul studiert. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der modernen und zeitgenössischen Kunst. An der Akademie der Bildenden Künste hat sie gemeinsam mit Sarah Sigmund die Veranstaltungsreihe "Feminist Invasion" ins Leben gerufen.