Ein Ort der Erinnerung am Rhein

Manche Bewegungen und Entwicklungen brauchen Zeit

Gabriele Bischoff

In zahlreichen Städten stehen Mahnmale zur Erinnerung an die Verfolgung von Homosexuellen. In Berlin wurde im Jahre 2008 das zentrale Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen unweit des Holocaustmahnmals im Berliner Tiergarten errichtet. Dieses Ereignis hatte die Diskussion in Düsseldorf neu aufleben lassen, ob wir auch in Düsseldorf einen solchen Ort brauchen.


Schon vor Jahrzehnten hat die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf das Schicksal der Homosexuellen in Düsseldorf zur Zeit des Nationalsozialismus mit einer Ausstellung und Publikation öffentlich gemacht. Damals, 1996, entstand die erste Idee für ein Denkmal. Eigentlich ist es unfassbar, dass es über 20 Jahre gedauert hat, bis es zu dem Verfahren mit Werkstattgespräch und Kunstkommission und der Einweihung des heutigen Denkmals gekommen ist.


Aber: manche Bewegungen und Entwicklungen brauchen halt ihre Zeit.


Tatsächlich bin ich froh, dass das Denkmal erst in diesem Jahrzehnt aufgestellt wird. Vor zehn Jahren wäre es unvollständig gewesen. Es wäre ein Denkmal gewesen zur Erinnerung an homosexuelle Frauen und Männer, die sich gegen Ausgrenzung und Gewalt gewährt haben.


Heute erinnert es an Menschen, die sich für etwas einsetzen:

  • für geschlechtliche Identitäten jenseits der binären Zuschreibungen,
  • für sexuelle Vielfalt jenseits des heteronormativen Begehrens.

 

Wie die Forschungen im Auftrag der Mahn- und Gedenkstätte ergeben hatten, war Düsseldorf ein Zentrum der Verfolgungen von schwulen Männern durch die Gestapo. Doch in verschiedenen Diskussionen unserer Community entstand der breite Wunsch, nicht nur an die Verfolgung und Vernichtung zur Zeit des Nationalsozialismus zu erinnern, sondern auch die Zeit davor und danach in den Blick zu nehmen.


Denn mit der Befreiung vom Nationalsozialismus war die Verfolgung der Homosexuellen in Deutschland nicht zu Ende. So übernahm die Bundesrepublik Deutschland den § 175 StGB in der von den Nazis drastisch verschärften Form und das sogenannte Sittengesetz sorgte dafür, dass Schwule und auch Lesben nicht das von ihnen gewünschte freie Leben führen konnten.


Das änderte sich erst mit der einsetzenden sexuellen Befreiung in den 1970er-Jahren, mit dem wachsenden Selbstbewusstsein von Menschen, die sich nicht den herrschenden Moralvorstellungen unterwerfen wollten – nicht unterwerfen konnten.


Die Lebenssituation von schwulen Bürgern und lesbischen Bürgerinnen sowie trans* und inter* Personen in Düsseldorf hat in den vergangenen Jahrzehnten dank einer gesellschaftlichen Bewegung und des bürgerschaftlichen Engagements von LSBTIQ+ einen grundlegenden Wandel erfahren. So gehören dem LSBTIQ+ Forum Düsseldorf mehr als 30 Initiativen und Vereine an. Der Zusammenschluss in Gruppen sorgt für Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein.


Der Rat der Stadt Düsseldorf hat 1995 die Resolution zum Schutz der Menschenwürde beschlossen und sich gegen jede Art der Diskriminierung gewendet, auch die sexuelle Orientierung betreffend. Neben der Gleichstellungsresolution hat die Stadtverwaltung Düsseldorf im Jahr 2008 auch die Charta der Vielfalt unterzeichnet.


Und doch wuchsen und wachsen immer wieder Menschen heran, die glauben, sie seien alleine auf der Welt mit ihrem gleichgeschlechtlichen Begehren, mit dem Gefühl, im falschen Körper zu stecken.


Deshalb braucht es einen Erinnerungsort an dieser prominenten Stelle am Rhein, wo Menschen aus der Region und Düsseldorf an schönen Tagen entlangschlendern und sich beim Anblick des Denkmals vielleicht fragen: Was soll das? Was sind denn das für Figuren?


Diese vier Figuren sind nicht eindeutig zuzuordnen „und das ist auch gut so“, um einen Politiker zu zitieren, der 2001 die Flucht nach vorne angetreten hatte. Selbstsicher stehen die Figuren hier, siegesgewiss und auch ein wenig zeitlos, in der Bronze, die an eine Zeit erinnert, in der Männer auf Pferden geehrt wurden für die Kriege, die sie geführt haben.


Sie erinnern an die Kämpfe, an den Zusammenhalt, den Gruppen geben können, wenn Menschen sich gegenseitig den Rücken stärken – gegen eine tatsächliche und gefühlte Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft. Sie erinnern an den grundlegenden Wandel, den gesellschaftliche Bewegungen und Engagement voranbringen. Und der jeden Tag neu erstritten werden muss gegen die Beharrungskraft vermeintlicher Normalität.


Auch in einhundert Jahren werden die nachfolgenden Generationen noch wissen, was mit diesen vier Figuren hier am Rhein gesagt werden soll: Wir stehen hier, weil es Menschen gibt, die sich dafür eingesetzt haben, dass Lieben und Begehren nicht darauf beschränkt wird, dass eine Frau einen Mann liebt und begehrt, sondern ein Mensch einen anderen Menschen. Und dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.

 

Gabriele Bischoff ist ehemalige Co-Sprecherin des LSBTIQ+ Forum Düsseldorf

 

Foto: Kevin Krämer