Ein Zeichen für eine tolerante Gesellschaft

Doch Akzeptanz ist nach wie vor ein fragiles Gebäude, das weiterhin aktiv zu verstetigen ist

Heike van den Valentyn

Carolin Emcke, eine der bedeutendsten Denker:innen unserer Zeit, hat sich vor einigen Jahren mit Weitsicht unterschiedlichen Formen des Begehrens genähert. In ihrem Buch „Wie wir begehren“ vergleicht Emcke ihr eigenes Sosein und das ihrer jugendlichen Weggefährt:innen mit einem „Theaterstück, bei dem es ein Diesseits und Jenseits des Vorhangs gab“. In diesem Stück habe sie sich nicht wiederfinden können, die Kostüme hätten ihr nicht gepasst, Figuren und Text seien ihr fremd gewesen.


Schließlich plädiert Emcke aus ihren eigenen Erfahrungen heraus für eine offenere Betrachtungsweise, die eint, statt Trennendes hervorzuheben. Sie fordert dazu auf, „[...] in dem Gegenüber, in bestimmten Figuren, auch andere Figuren zu sehen, zu schauen, was in dem anderen noch zu erkennen wäre, was sie noch sein können, neben dem, was man im ersten Moment in ihnen wahrnimmt“. Die Zuschreibungen „schwul“, „lesbisch“ oder „queer“ wären dann nur jeweils eine von vielen möglichen Deutungen.

Jenem gesellschaftlichen Appell, den Emcke als Sehnsucht formuliert hat, ist auch Claus Richters Bronzeskulptur Ein seltsam klassisches Denkmal verpflichtet: Die vier aus dem Zentrum in alle Himmelsrichtungen entschlossen auftretenden Figuren entziehen sich eindeutigen Zuschreibungen. Nach innen verbinden sie die einander gereichten Hände. Sie stehen solidarisch zueinander – und ihre Gestik symbolisiert zugleich ihre Verbundenheit mit Menschen unseres Umfelds, die die eigene Identität jenseits heteronormativer Vorstellungen nicht verschweigen.


Obgleich für Teile der Gesellschaft die Vielheit sexueller und geschlechtlicher Identitäten akzeptiert und fester Bestandteil des Lebens ist, erfahren Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und queere Personen Diskriminierung − bis in die Gegenwart. Die Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt ist nach wie vor ein fragiles Gebäude, das weiterhin aktiv zu verstetigen ist: Noch bis 1994 standen in Deutschland nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuches sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Besonders während des Nationalsozialismus wurden Tausende Menschen Opfer institutionalisierter Verfolgung, darunter auch lesbische Frauen und transgeschlechtliche Personen.

Der systematische Zwang zu sexueller und sozialer Konformität hallte lange nach. 2002 bat der Deutsche Bundestag die homosexuellen Opfer des Naziregimes um Entschuldigung. Claus Richters Figurengruppe setzt nun ein öffentlich sichtbares Zeichen für einen anderen Umgang mit individuellen Formen des Seins und des Begehrens. Es steht für Menschen jenseits gesellschaftlich normierter Zuschreibungen, jenseits von Ein- und Ausgrenzungen aufgrund geschlechtlicher und sexueller Orientierung.


Die Präsenz eines solchen Zeichens an einem öffentlichen Ort im Stadtraum, das sich verbunden zeigt mit queeren Identitäten, war lange Zeit nicht mehrheitsfähig. Es wurde erst nach mehr als zwei Jahrzehnten intensiven gesellschaftlichen Dialogs auf Initiative des Düsseldorfer LSBTIQ+ Forums jetzt Wirklichkeit. Und dies vor dem Hintergrund, dass Homosexuelle neben Berlin und Hamburg besonders in Düsseldorf von Verhaftungen und Deportationen durch die Nationalsozialisten betroffen waren.

Im Sommer 2018 wurde die Kommission für Kunst im öffentlichen Raum vom Kulturausschuss der Landeshauptstadt Düsseldorf beauftragt, einen Wettbewerb auszuloben, der nicht nur dieser Verfolgung im Nationalsozialismus gedenkt, sondern zugleich die Diskriminierung von queeren Personen in der Gegenwart sichtbar macht. Es sollte ein Werk geschaffen werden, das den Opfern von Intoleranz und Verfolgung einen Ort gibt und gleichzeitig einen öffentlich wirksamen Impuls für die zukünftige Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt setzt.


Aus einem internationalen geladenen Wettbewerb ging der Entwurf des multimedial arbeitenden Bildhauers Claus Richter (*1971) hervor. Auf der Rheinwiese zwischen Apollo-Platz und dem Ausstellungshaus KIT − Kunst im Tunnel hat die Plastik „Ein seltsam klassisches Denkmal“ einen landschaftlich offenen und strategisch bedeutenden Standort unweit politischer Entscheidungsgremien gefunden.

Mit seiner Figurengruppe in Bronze reiht sich Richter ganz bewusst in die Vielzahl bestehender Plastiken im Düsseldorfer Stadtbild ein. Erst die nähere Betrachtung und Auseinandersetzung mit den Figuren offenbart seine gezielte inhaltliche Brechung gegenüber historischen Denkmälern. Auf einem Stufensockel recken die vier Figuren ihre Hände empor, teils zu Fäusten geballt, teils zu Victory-Zeichen gespreizt. Sie geben sich kämpferisch, engagiert und bleiben in ihrem Fordern doch solidarisch vereint. In ihren Physiognomien bewusst ambivalent und offen dargestellt, sollen sie jener Betrachtungsweitung Raum geben, wie ihn nicht nur das Düsseldorfer LSBTIQ+ Forum und Betroffene fordern.


Dank gebührt der ersten Kunstkommission Düsseldorf, stellvertretend ihren Vorsitzenden Jörg-Thomas Alvermann und Via Lewandowsky, die den Prozess der Realisierung in enger Zusammenarbeit mit vielen Mitstreiter:innen begleitet, getragen und umgesetzt hat. Im Besonderen erwähnt und bedankt seien hier das Düsseldorfer LSBTIQ+ Forum, namentlich Gabriele Bischoff, die Mahn- und Gedenkstätte mit Bastian Fleermann und die städtischen Gremien, darunter Jana Hansjürgen vom Amt für Gleichstellung und Antidiskriminierung, sowie der Oberbürgermeister Stefan Keller und sein Vorgänger Thomas Geisel. Schließlich möchte ich dem Künstler Claus Richter für seinen vielschichtig lesbaren Entwurf danken!


Ich freue mich sehr, dass die Landeshauptstadt Düsseldorf mit diesem Werk ein weithin sichtbares künstlerisches Zeichen für eine vielfältige und tolerante Gesellschaft setzt.

 

Heike van den Valentyn ist Vorsitzende der Kunstkommission Düsseldorf

 

Die Zitate sind dem Buch „Wie wir begehren“ von Carolin Emcke entnommen, Frankfurt a. M. 2013, 5. Auflage 2016, S. 129 und S. 241 f.

Foto: Henning Krause