Ein langer Weg

Vom Gedenkort zum Zukunftszeichen

Dr. Bastian Fleermann

Am Anfang, und der liegt weit zurück, stand die Überzeugung, ein Mahnmal für die Menschen einzufordern, die während der nationalsozialistischen Diktatur wegen ihrer Homosexualität verfolgt wurden: Sowohl der Community als auch der städtischen Mahn- und Gedenkstätte schwebte ein Erinnerungsort vor Augen, an dem man um die Ermordeten trauern und ihrer gedenken könnte. Ein Zeichen, das in der Öffentlichkeit dafür sorgen würde, dass man das Leid der gleichgeschlechtlich liebenden Düsseldorferinnen und Düsseldorfer während der NS-Herrschaft nicht vergessen würde – die dramatische Verletzung ihrer Menschenwürde, ihre Angst, „entdeckt“ und „belangt“ zu werden, ihre Haft in Zuchthäusern und KZs. Über Jahrzehnte war die Verfolgung von Menschen, die von der brutalen Norm einer auf Fortpflanzung und „Rassereinheit“ basierenden „Volksgemeinschaft“ durch ihren Lebensstil oder ihre gelebte Sexualität abwichen, verschwiegen und verheimlicht worden. Erst lange nachdem andere Verfolgtengruppen und Überlebende ihre Position in der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur belegt und definiert hatten, behauptete sich dort auch die Menschen- und Bürgerrechtsbewegung der Schwulen und Lesben. Und auch nach diesen Anfangskämpfen blieben die Homosexuellen das, was man immer noch als „vergessene Opfer“ des Nationalsozialismus bezeichnete.


Es kam anders. Die Generation, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren ebensolche Kämpfe ausgefochten hatte, wollte dem Erinnerungsort eine weitere Dimension hinzufügen: Gedacht werden sollte nicht nur des Leids der Verfolgten des NS-Regimes. Auch die düsteren Nachkriegsjahrzehnte, in denen sich immer noch Menschen verstecken mussten und in denen immer noch „abgeurteilt“ und „bestraft“ wurde, sollten berücksichtigt werden. Nicht zuletzt aber wollte man auch den Blick auf Gegenwart und Zukunft öffnen, Bürgerrechtsbewegung, queeres Leben, Gleichberechtigung, gesellschaftliche Öffnung und Akzeptanz mit einbeziehen. Am 10. März 2018 waren wir als Institut Gastgeber für einen offenen Werkstatttag, der von viel Diskussion, aber auch von Respekt und Wertschätzung geprägt war. Vorstellungen und Bedürfnisse wurden artikuliert, historische und gegenwärtige Blickwinkel ausgelotet. Es ging um Standorte und künstlerische Perspektiven. Im Mittelpunkt jedoch stand die Öffnung des Themas: Der Erinnerungsort sollte auch in die Zukunft weisen, Betroffene nicht auf ihr Opfersein reduzieren, sondern Selbstbewusstsein und Stolz ausdrücken.


Nach weiteren Debatten, Wettbewerben und Jurysitzungen steht nun das Ergebnis fest: Es ist kein reines Opfer-Mahnmal, das sich auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 fokussiert. Es ist ein Zeichen eines Triumphs geworden. Das, was Claus Richter geschaffen hat, hat sich von der Ursprungsidee abgekoppelt, aber eben auch sehr klar erweitert und geöffnet: Menschen schauen auf erlittenes Unrecht zurück, aber sie tanzen – stolz auf alles, was sie seither hart erkämpft haben und weiterhin zu erkämpfen haben. Ich habe diese Entwicklung lange begleitet, habe – als Vertreter einer Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus – auch mit dieser Zukunftsperspektive zunächst gehadert. Ich habe aber auch viel (dazu-)gelernt auf dem langen Weg, der zu diesem Denkmal geführt hat. Vor uns steht nun ein Werk, das uns zeigt, dass Freiheit, gesellschaftliche Vielfalt, Gleichberechtigung und queeres Leben zu einer demokratischen Gesellschaft gehören, und dass diejenigen, die dies bekämpfen, auch als Feinde unseres demokratischen Selbstverständnisses als Bundesrepublik anzusehen sind. Und in eben dieser Republik scheint Düsseldorf mit seinem Denkmal ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. Ein Ort, der NS-Vergangenheit, die langen Wege der Akzeptanzschaffung und den Blick in Gegenwart und Zukunft vereint und damit ganze Generationen sehr geschickt integriert, öffnet sich uns am Rheinufer. Dieser Ort hat die Chance, ein Forum zu sein für die Frage, wie wir miteinander leben wollen, ein Ort der Begegnungen und des Austauschs.


Dass die Community aktiv einbezogen wurde und die Wünsche der LSBTIQ+ Gruppen Berücksichtigung fanden, war dabei immer der richtige Ansatz. Klar ist aber am Ende eben auch: Es ist kein Denkmal „von der“ oder „für die“ Community. Es ist unser aller Denkmal.

 

Dr. Bastian Fleermann ist Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf

 

Foto: Michael Gstettenbauer